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Zahlen und Daten

Das Reiskorn auf dem Schachbrett

Die aktuelle Situation rund um das Coronavirus hat mich dazu bewegt, mich ein wenig mit dem Phänomen der exponentiellen Enwicklung zu befassen, denn wir haben es hier nicht nur mit einer ansteckenden Krankheit zu tun, sondern auch mit exponentiellem Wachstum.

«Exponentiell» sprengt unser Vorstellungsvermögen

Mir scheint, als ob sich unsere Wahrnehmung schwer tut mit der Erfassung exponentiellen Wachstums. Das ist aktuell zu beobachten an der Ansteckungsrate des Coronavirus, die sich ebenfalls nicht linear verhält, sondern exponentiell. Die Entwicklung der Fallzahlen beschreibt dabei nicht eine einigermassen gerade Linie, sondern eine stetig steiler ansteigende Kurve, bei der sich die Anzahl Erkrankungen im schlimmsten Fall (und ohne Gegenmassnahmen) alle paar Tage verdoppelt.

Der König und das Schachspiel

Was also am Anfang nach verschwindend wenig aussieht, wird rasch zu einer Zahl, die unsere Vorstellungskraft sprengt. Als Beispiel soll die Legende vom König dienen, der sich beim Erfinder des Schachspiels bedanken will und ihm einen Wunsch gewährt. Dieser möchte, dass man ihm auf das erste Feld ein Reiskorn legt, auf das zweite Feld zwei, auf das dritte Feld vier und so weiter, in einer stetigen Verdopplung bis hin zum 64. und letzten Feld. Der König lacht den Mann aus und ist gleichzeitig gekränkt über den (vermeintlich) beschämend bescheidenen Wunsch, den er ihm erfüllen soll. Das Lachen ist dem König dann aber ziemlich schnell vergangen.

Lange unscheinbar – und plötzlich gigantisch

Ich wollte selber nachrechnen und habe meine Vorbereitung zum Informatikunterricht in meinem Studium an der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR) zum Anlass genommen und mir hierfür ein kleines JavaScript-Programm geschrieben. Das Programm rechnet für jedes Feld des Schachbretts die Anzahl Reiskörner und ihr Gesamtgewicht aus.

Die Reiskörner auf dem Schachbrett illustrieren gut, wie wir uns bei exponentiellen Phänomenen nur allzu leicht von deren bescheidenen Anfängen täuschen lassen: Die Anzahl Reiskörner auf der ersten Reihe (Feld 1 bis 8) ist verschwindend klein: 1, 2, 4, 8 bis 128. «Lächerlich», denkt man sich, auch wenn man kein König mit stattlichen Getreidekammern ist.

Eine Reihe weiter sieht es schon anders aus: Auf Feld 16 liegen 32’768 Reiskörner, und zwei Kilo auf dem ganzen Schachbrett. Am Ende der dritten Reihe haben wir es bereits mit einer halben Tonne zu tun. Kein Wunder, denn es liegen zwischenzeitlich 17 Millionen Reiskörner auf dem Brett. Der viele Reis hat das Schachbrett längst unter sich begraben – und mit ihm wohl auch die Illusion des Königs, sein Versprechen jemals einlösen zu können.

Stellen wir uns vor, dass sich im Fuhrpark des Königs auch ein Lastwagen mit einer Transportkapazität von 25 Tonnen findet. Dieser müsste für die Menge an Reis, die sich bis zum 32. Feld angesammelt hat, 6 Fahrten unternehmen, um die 6443 Säcke à 20 Kilogramm an ihr Ziel zu befördern. Nur eine Reihe weiter auf dem Schachbrett (wir befinden uns auf Feld 40) muss bereits 1320-mal gefahren werden.

Noch mehr Zahlen

  • Wenn man von 33 Körnern für ein Gramm Reis ausgeht, dann resultiert am Ende die unvorstellbare Menge von 553’402’322’211 Tonnen (553 Milliarden Tonnen) Reis. Das ist fast das 900-Fache der weltweiten Jahresernte an Reis des Jahres 2006.
  • Der Reis, der vom 1. bis zum 64. Feld des Schachbretts zusammenkommt, umfasst die sagenhafte Menge von 18’446’744’073’709’551’616 oder 18,4 Trillionen Reiskörnern.
  • Wenn man von einer Ladezeit von 10 Minuten für einen 25-Tönner ausgeht (wie es das Getreidecenter Eichmühle in Beinwil/Freiamt tut), nähme der Verlad 421’159 Jahre in Anspruch. Das entspricht der erdgeschichtlichen Zeitdauer von der zweiten Eiszeit (Mindel) bis heute.
  • Geht man von 12 Metern Länge eines Lastwagens aus, hätte die Schlange eine Länge von 265’633’115 Kilometern. Das ist das 6628-fache des Erdumfangs oder entspricht der Strecke, die man zurücklegt, wenn man 345-mal zum Mond und wieder zurück zur Erde fliegt.

Die Kurve abflachen

Die (ungebremste) Ausbreitung des Coronavirus besitzt die gleiche Charakteristik wie die Zunahme der Reiskörner auf dem Schachbrett. Und damit wird klar, mit welcher Katastrophe wir es zu tun haben, wenn wir uns nicht vereint und diszipliniert gegen dieses Virus stemmen. Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) stellt auf seiner News-Seite eine Grafik mit den aktuellen Fallzahlen zur Verfügung. Dort kann man auch ablesen, wie lange es dauert, bis 100’000 Personen erkrankt sein werden, wenn sich die Neuansteckungen täglich, alle zwei oder alle drei Tage verdoppeln. (Kleiner Tipp: es geht ratzfatz.)

Deshalb ist es auch so wichtig, dass es uns gemeinsam gelingt, diese Kurve in kurzer Zeit wieder nach unten zu drücken. Unser Gesundheitssystem kann die enorme Zahl an Erkrankungen, die sonst resultiert, schlicht nicht tragen. Es kommt – nach wie vor – auf jedes einzelne Bett in den Intensivstationen unserer Spitäler an, das verfügbar bleibt.

Hilf mit. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) rät: Bleib zuhause. Besonders, wenn Du zu einer Risikogruppe gehörst. Halte Abstand. Wasche Deine Hände oft und gründlich. Lass Dir die Einkäufe vor die Tür stellen. Wink ab, wenn Dir Dein Sohn oder Deine Tochter die Enkel zum Hüten vorbeibringen wollen, auch wenn Du sie liebst. Gerade, wenn Du sie liebst. Pass gut auf Dich auf – und bleib gesund.

Bild: Maarten van den Heuvel auf Unsplash